Der Zorn der Propheten

Kantate für gemischten Chor und Instrumente

Text: Christa Weber nach Worten aus dem Alten Testament

Texte aus dem Alten Testament wechseln sich ab mit dokumentarischen Berichten über Kinderarmut in aller Welt. Zum Beispiel Paco aus Kolumbien:

Ich bin acht Jahre alt und arbeite in einem Kohlebergwerk in Kolumbien. Gebückt krieche ich auf allen Vieren durch den Stollen und verpacke Kohlestücke in die Taschen eines Maultiers. Acht Stunden und mehr verbringe ich pro Tag in der stickigen Luft ohne Tageslicht. Die Grubenbesitzer weigern sich, die Bergwerksstollen so auszubauen, dass auch Erwachsene dort arbeiten könnten. Wir Kinder bekommen nämlich weniger Geld als die Erwachsenen. Aber die können durch die engen Stollen nicht durchkriechen. Außerdem sind wir Kinder leichter „mundtot“ zu kriegen, wenn wir uns beschweren. Meine Knochen sind schief gewachsen. Und abends tut mir alles weh. Zwar gibt es auch eine Schule, in die ich gehen könnte. Aber ich muss in der Mine arbeiten, um für mich und meine Familie genug zu Essen zu haben.

Armut in Deutschland hat eine andere Gestalt.

Pauline aus Rostock: Ich bin elf Jahre alt. Meine Mama ist eigentlich Krankenhelferin. Aber seit zehn Jahren arbeitslos, weil das Arbeitsamt immer gesagt hat, sie haben nichts für sie, weil sie ja Kinder hat und keine Schichten machen kann. Früher, als ich noch kleiner war, da war ich manchmal auch ganz schön traurig. In der Schule war ein Mädchen, das war stinkreich. Und dann hat sie über meine Klamotten gelästert. Mama habe ich das gar nicht erzählt, ich wollte nicht, dass sie auch noch deswegen traurig wird. Vor Kurzem hatte Mama einen Ein-Euro-Job als Altenpflegerin bei der AWO. Deswegen konnte sie mir auch fünf Euro mitgeben, als ich mit Roxi in der Stadt war. Ich habe meiner Freundin davon ein Eis spendiert. Das kann ich sonst nie. Na ja, und den Rest hab ich wieder mit nach Hause gebracht. Zum Sparen, oder falls Mama es doch noch braucht. Sie wird es bestimmt brauchen. Wenn ich groß bin, würde ich gerne Polizistin werden. Und dann würde ich aufpassen, dass alle Kinder immer zu essen haben, und dann würde ich meine ganze Familie zum Eisessen einladen. Und ich würde zu Mama sagen, nimm dir so viele Kugeln, wie du willst.

Aus dem Buch Micha:

Ihr, die ihr Böses gut und Gutes böse nennt,
die Finsternis zum Licht und das Licht zur Finsternis gemacht habt:
Macht nur weiter so!
Ihr, die ihr unheilvolle Gesetze erlassen habt,
um den Armen ihr Recht zu rauben,
Witwen und Waisen auszuplündern: macht nur weiter so!
Eure Strafe naht am Tag des großen Zorns,
wenn die Türme einstürzen!
Dann könnt ihr den Hals nicht mehr aus der Schlinge ziehen…

UA 2009 in Lübeck als Auftragswerk der Lübecker Ernestinen - Schule

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